Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 09.06.2016 entschieden, dass der in der deutschen Kreditwirtschaft übliche Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte § 104 der Insolvenzordnung (InsO) widerspricht und daher (teil)unwirksam ist. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) kündigt aufgrund der erheblichen praktischen Bedeutung an, kurzfristig eine Regelung zu suchen.
Der zugrunde liegende Fall:
Die Parteien streiten nach dem Eintritt der Insolvenz über das Vermögen der beklagten Bank um Ansprüche aus zuvor geschlossenen Optionsgeschäften.
Die Klagepartei hatte mit der beklagten Bank Aktienoptionsgeschäfte geschlossen. Die Klagepartei räumte der Bank Kaufoptionen für Aktien dergestalt ein, dass die Bank das Recht hatte, zu einem bestimmten Stichtag eine bestimmte Anzahl dieser Aktien zu einem bestimmten Kaufpreis (Ausübungspreis) zu erwerben. Die Option sollte als ausgeübt gelten, wenn der Börsenkurs der Aktien am Stichtag höher oder gleich dem vereinbarten Ausübungspreis sein würde. Andernfalls sollten die Optionen verfallen. Dem Vertrag lag unter anderem der „Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte“ zugrunde. Dieser beruht auf dem vom deutschen Bundesverband Deutscher Banken publizierten Muster „Deutscher Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte“.
In der Folge wurde über das Vermögen der Bank das Insolvenzverfahren eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt war zwischen der Bank und der Klagepartei noch ein Optionsgeschäft offen.
Die Parteien streiten darüber, welche Auswirkungen die Insolvenz der Bank vor dem Hintergrund der Regelungen des Rahmenvertrages und den Vorschriften der Insolvenzordnung hat. Die Bank errechnete auf der Basis des Rahmenvertrages für sich einen beträchtlichen Ausgleichsanspruch und verweigerte vor diesem Hintergrund die Herausgabe der verpfändeten Aktien.
Das Landgericht hat die entsprechende Widerklage der Bank abgewiesen. Auf die Berufung der Bank hat das Berufungsgericht dem Anspruch der Bank bis auf einen kleinen Teil stattgegeben.
Es ist mit dem Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Bank gegenüber der Klagepartei ein Anspruch in Höhe des Marktpreises der Option zusteht. Dies folge allerdings nicht aus dem Rahmenvertrag, sondern aus § 104 Abs. 2 und 3 InsO.
Der Senat ist davon ausgegangen, dass das in § 104 InsO geregelte Ausgleichsregime im Insolvenzfall gegenüber dem Rahmenvertrag vorrangig ist. Dies ergibt sich aus § 119 InsO, wonach Vereinbarungen, die wie die Vorliegende im Voraus die Anwendung von § 104 InsO beschränken, unwirksam sind. Danach ist die Vereinbarung unwirksam, soweit die darin vorgesehene Berechnungsmethode für den Ausgleichsanspruch im Insolvenzfall von § 104 Abs. 2 und 3 InsO abweicht. Es sei widersprüchlich, wenn einerseits die Masse durch § 104 Abs. 2 InsO geschützt werden solle, indem diese Vorschrift kein Insolvenzverwalterwahlrecht vorsehe, andererseits die Parteien gerade diesen Zweck des Masseschutzes durch individualvertragliche Vereinbarungen umgehen könnten, die eine vom Gesetz zu Lasten der Masse abweichende Berechnungsweise des Ausgleichsanspruchs vorsehen. Insbesondere die im Rahmenvertrag, nicht jedoch in § 104 Abs. 3 InsO vorgesehene Beschränkung eines von der solventen Partei auszugleichenden finanziellen Vorteils auf den von der insolventen Partei erlittenen Schaden wäre geeignet, das durch § 104 Abs. 3 InsO gewährleistete Niveau des Masseschutzes abzusenken. Der Umstand, dass in § 104 Abs. 2 Satz 3 InsO Rahmenverträge über Finanzdienstleistungen erwähnt werden, eröffne nicht die Möglichkeit, über den in dieser Vorschrift vorgesehenen Regelungsrahmen hinaus Abweichungen von § 104 InsO vertraglich vorzusehen.
Die Anwendung des § 104 InsO führe auch nicht zu einem unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten untragbaren Ergebnis, weil die Klägerinnen grundsätzlich im Anschluss an den Insolvenzzeitpunkt eine entsprechende Zahl von Optionen mit demselben Stichtag an Dritte hätten verkaufen und so Erlöse hätten erzielen können, die ebenso hoch gewesen wären wie die der Bank zu erstattende Ausgleichsforderung. Die Lage der Klägerinnen hätte dann derjenigen entsprochen, die ohne die Insolvenz der Beklagten bestanden hätte.
Die Vorschrift des § 104 Abs. 3 InsO macht den Anspruch der Masse wegen Nichterfüllung nicht davon abhängig, dass tatsächlich ein in gleicher Weise gesichertes Deckungsgeschäft abgeschlossen werden konnte. § 104 InsO gibt eine abstrakte Berechnungsmethode für die Forderung wegen Nichterfüllung vor. Der Partei, die am maßgeblichen Stichtag „im Geld“ steht, soll der durch die Vertragsbeendigung verloren gegangene Vorteil nach Marktpreisen erstattet werden.
Aufgrund der Regelung des § 104 Abs. 2 InsO endet das Finanzgeschäft automatisch. Will eine Vertragspartei die gewünschten Wertpapiere weiterhin am vereinbarten Stichtag erhalten oder weiterhin am vereinbarten Stichtag zur Lieferung verpflichtet sein, muss sie ein Ersatzgeschäft abschließen.
Da sich die Ausgleichsforderung nach § 104 Abs. 3 InsO und nicht nach der unwirksamen Regelung des Rahmenvertrages richtet, hätte das Berufungsgericht bei seiner Berechnung gemäß § 104 Abs. 3 Satz 2 InsO auf den zweiten Werktag nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abstellen müssen. Die Berechnung des Berufungsgerichts begegnete im Übrigen aus weiteren prozessualen Gründen rechtlichen Bedenken.
Der Senat hat deshalb das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Im Rahmen der nachzuholenden Beweisaufnahme zum Marktwert der Optionen zu dem in § 104 Abs. 3 Satz 2 InsO maßgeblichen Zeitpunkt wird das Berufungsgericht zu klären haben, ob die Ermittlung eines Marktwertes der Option überhaupt möglich ist. Für den Marktpreis ist nicht die Handelbarkeit der Option maßgeblich, sondern die bestehende Möglichkeit einer Ersatzeindeckung für denselben Ausübungsstichtag. War eine solche Ersatzeindeckung nicht möglich, besteht auch kein Ausgleichsanspruch.
Das Urteil ist noch nicht veröffentlicht.
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